Museen; Orte, an denen man gegen viel Geld alte, verstaubte Gegenstände aus längst vergangenen Tagen bestaunen kann. Mit „must see“ hat das Ganze meistens nichts zu tun. Doch die Museumskultur durchläuft einen Wandel. Wo früher alte, verstaubte Exponate standen, hängen heute Flachbildschirme, die Bilder von alten, verstaubten Exponaten zeigen. Und weil sich auch der kleine Kalli der kulturellen Welt öffnen möchte, besucht er diese Orte der Zeitgeistkonservation. Neben Technikmuseum und Harry-Potter-Wanderaustellung ist der kleine Kalli besonders an Sinnesmuseen interessiert. So erkundete er kürzlich das Schokoladenmuseum in Köln und empfand erstmals in seinem Leben einen Museumsshop als beachtenswert. Überhaupt, die Idee für eine Werksführung Geld zu verlangen und alte Schoki-Verpackungen auszustellen, das imponierte Kalli schon sehr. Gut genährt von dem überdimensional großen Schokobrunnen kam Kalli die Idee, ein Chaosmuseum in seinem Zimmer einzurichten. Mit Sonderausstellungen wie z. B. „Staub“ oder „Klamottenberge“ könnte er gegen eine geringe Gebühr die Weltöffentlichkeit begeistern. Natürlich würde er auch Führungen anbieten. Allerdings müssten neben Hunden auch die Erziehungsberechtigen draußen bleiben. Sorry.
Es ist die hohe Kunst des Einkaufens. Ein Besuch in der Backstube um die Ecke ist eine echte Herausforderung. Wobei man inzwischen schon deutlich differenzieren muss zwischen Backstube im herkömmlichen, traditionellen Sinne, Backstube im Kassenbereich des Supermarktes, Systembäckerei mit Backshops und Zangenwühlbacktheken im Supermarkt selbst. Als der kleine Kalli noch klein war, da durfte er Samstags die Brötchen vom Bäcker holen. Samstags deshalb, weil sonntags auch Bäcker ausschlafen durften und der Pfarrer es ungern sah, wenn man das Butterhörnchen auf der Kirchenbank trapierte. Nun damals also, in jener Zeit, in der Bäckerläden noch nach „Bäcker“ hießen und Aufbackwaren nur an unbeliebte Kunden als frisch verkauft wurden, damals ging der kleine Kalli hinein, gab seine immergleiche Bestellung auf, bekam von der netten Dame hinter der Theke ein Stückchen Bienenstich geschenkt und einen schlauen Spruch vom Bäckermeister selbst mit auf den Weg. Dann nahm Kalli die vier prallen Tüten mit Brötchen und Gebäck, legte 20 Pfennig in die Münzschale und bekam – wie immer – seine 5 Pfennig Wechselgeld. So einfach und familiär wie damals ist das Geschäft um die Brötchen heute nicht mehr. Der kleine Kalli muss sich im Vorfeld genaustens überlegen, wie viele Brötchen er kaufen möchte. Wird er sodann von der Bedienung gefragt, muss er stets ein bis zwei Brötchen weniger angeben, denn ein oder zwei Brötchen mehr sind immer im Angebot. Kurz nach der Einführung dieser Verkaufsstrategie ist der kleine Kalli fast verzweifelt. Doch heute beherrscht er die Tricks der Bäckerrechnung. Und wenn der kleine Kalli doch mal keine Lust zum Rechnen hat, dann fragt er einfach: „Wieviele Brötchen sind denn heute im Angebot?“
Grundsätzlich ging der kleine Kalli davon aus, dass es in seinem Leben nur eine einzige Frau geben könnte. Doch dass bald schon noch weitere Personen weiblichen Geschlechts neben seine Mutter treten würden, das hätte der kleine Kalli nicht gedacht. Sabine, Christina, Julia und Svenja waren als große Sandkastenlieben erst der Beginn. Es folgten Karen, Elisabeth und Theresa. Die Liste könnte Kalli noch endlos fortführen, doch bei all den vielen Namen kann die richtige Reihenfolge nicht gewahrt bleiben. Und ob nach Anna die große Liebe Nadja oder Veronika folgte, das macht nun auch keinen Unterschied. Der kleine Kalli hatte an so viele Damen sein Herz verloren, dass es schon einer gut geschulten Spürhundestaffel bedarft hätte, es wieder zu finden. Obwohl die Frauen so unzählig waren, dass er bereits in der Grundschule mehr Angebetete hatte als es der ihm bekannte Zahlenraum (10) zulies, ist es doch verwunderlich, dass er niemals eine feste Freundin hatte. Vielleicht lag es an seiner zurückgezogenen und introvertierten Art, vielleicht war es seine Mutter, die Kalli als Jugendlicher bis in die Disko folgte. Auch wenn es sich im Nachhinein nicht mehr feststellen lässt, weshalb es mit den Frauen und Kalli nie so richtig funktioniert hat, so könnte Kalli am Ende doch noch die große Liebe finden. Ein erster Schritt in diese Richtung ist jedenfalls gemacht, denn seine Mutter hat ihn neulich bei Elite-Partner.de angemeldet. Es lebe die Liebe!
Sonntag, das hatte sich der kleine Kalli fest vorgenommen, Sonntag geht es zur Messe. Was für die Damenwelt das Werbeprospekt „Glamour“ ist, das ist für die Herren der Schöpfung ein Messebesuch. Bezahlen für Werbung. Ein perfides Machwerk der Marketingwelt. Doch der kleine Kalli liebt die Billigwerbegeschenke, die bunten Taschen und nicht zuletzt die Kataloge ohne Preisauszeichnung, die allesamt auf Messen nicht fehlen dürfen. So fährt Kalli erwartungsvoll auf die Messe „Bauen und Wohnen“, die ja zu einer der größten in ganz XY zählt und neben namhaften Herstellern auch kleinere innovative Startups bietet. Bei solch tollen Angeboten ist der Eintrittspreis von 15 € pro Nase schnell vergessen. Kaum ist das Startgeld entrichtet, geht es rein in das Getümmel. Weil Platz auf Messen Mangelware ist, helfen sich die Aussteller mit allerhand Ideen in Sachen Standbau. Ähnlich wie bei Wolkenkratzern gilt es in die Höhe zu bauen und auf diese Weise die Werbefläche zu vergrößern. Kalli ist besonders an Kugelschreibern und Gummibärchen interessiert, die gibt es aber nur nach halbstündigen Beratungsgesprächen und auch nur gegen Aufforderung. Ansonsten kann sich der kleine Kalli vor Kontaktkarten, Flyern und Hochglanzbroschüren nicht mehr retten. Nach zwei Stunden tuen ihm die Füße weh und der Magen signalisiert, dass es nunmehr an der Zeit ist, sich an die vollkommen überteuerten Versorgungsstände zu begeben. Bei der Gelegenheit wird der Lageplan betrachtet und erstmals überlegt, was man denn gerne sehen möchte. Der kleine Kalli entscheidet sich für Halle 8. Die darf nicht fehlen. Nach gefühlten 100 km Wegstrecke erreicht Kalli sein Ziel. Halle 8. Den Aussteller den er sucht, findet er leider nicht und so begibt sich Kalli genervt und müde in Richtung Ausgang. Auf dem Weg nach Hause schaut sich Kalli den Messe-Plan an, um festzustellen, welche Stände er viel lieber gesehen hätte. Und so nimmt Kalli neben 12 kg Anfeuerhilfen auch die Erkenntnis mit, dass es nächsten Sonntag besser wieder in die katholische Messe geht.
Wer Kalli kennt, der weiß, dass er großen Wert auf eine gute Nachbarschaft legt. Doch seit in der Wohnung über ihm die Studentin Johanna eingezogen ist, ist es mit der Nachtruhe vorbei. Johanna scheint so ganz eigene Gewohnheiten zu pflegen, die denen Kallis vollkommen entgegenstehen. Um ca. 23 Uhr beginnt die Waschmaschine ihren Dienst aufzunehmen, um 1 Uhr morgens wird Staub gesaugt und um 4 Uhr in der Früh hält sich die Dame mit Sprungseilübungen fit. An Schlaf ist für Kalli seit Wochen nicht zu denken. Doch was tun? Der kleine Kalli ist einfach nicht der Typ dafür, an die Tür zu klopfen und auf den Putz zu hauen. Seit ein paar Tagen verfolgt er deshalb einen Plan: Er kopiert die Verhaltensweise von Johanna. Hört sie laut Musik, so dreht auch Kalli voll auf. Hüpft Sie, so hüpft auch er. Und es dauerte keine drei Tage, da stand Frau Müller, die die Wohnung unter Kalli bewohnt, nachts um 3 Uhr vor seiner Wohnung. „Mensch Kalli,“ giftete die rüstige Rentnerin ihn an, „wollen Sie das Haus abreißen? Das ist ja ein Krach!“ „Da haben Sie Recht, Frau Müller,“ entgegnete der kleine Kalli „ich kann seit Tagen kein Auge mehr zumachen. Aber das man die Dame über mir selbst bei Ihnen hört, das ist schon erstaunlich.“ „Über Ihnen?“ „Ja. Diese neu eingezogene Studentin, die scheint nachts zu leben.“ Frau Müller entschuldigte sich bei Kalli und stampfte schnaufend die Treppenstufen hoch zu Johanna. Die räumte zugleich ein, dass die beschriebenen Geräusche aus ihrer Wohnung kommen müssen und gelobte Besserung. „Es gibt doch nicht’s über einer guten Nachbarschaft“ dachte sich Kalli, „man darf sich nur nicht unbeliebt machen.“
Hätte Silvia ihn nicht gefragt, hätte sich die Frage gar nicht gestellt. Als Kind war alles viel einfacher, da hieß es Cowboy oder Indianer. Da war die Welt noch eingeteilt in Gut und Böse. Doch heute ist alles in Graustufen gehalten. Und so schwebt auch über der Wahl des passenden Faschingkostüms ein großes graues Fragezeichen. Silvia hat Karten für die große Prunksitzung besorgt und Kalli steht nun in der Faschingabteilung des örtlichen Modegeschäfts und schaut sich Bauarbeiter-, Polizisten- und Rockerkostüme an. Dabei halten die meisten Nähte der völlig überteuerten Chinawaren nicht einmal den kritischen Blicken stand. Kalli erinnert sich, dass er zuhause noch ein Scheichkostüm liegen hat, dass er einst bei einem Marokkourlaub von Achmed, seines Zeichens Textilienhändler, Großvisionär, Touristenguide und Freund, zu einem, wie ihm Achmed versicherte Freundschaftspreis erstanden hatte. Die Frage der Verkleidung war damit geklärt. Kalli schlüpfte am Abend der Prunksitzung in das arabische Outfit, band sich den Turban um den Kopf und machte sich zusammen mit Silvia in Richtung Frohsinn. Doch das Lachen blieb dem kleinen Kalli bereits im Foyer im Halse stecken. Als er seine Jacke an der Garderobe abgegeben hatte und bedächtig zur Einlasskontrolle schritt, überkam ihn ein mulmiges Gefühl. Er näherte sich der Ticketkontrolle in Turban, arabischer Kleidung und Vollbart im Gesicht. Dies Karten überprüften dieses Jahr treffender Weise als FBI-Beamte verkleidete (?) Männer, die ansonsten wohl im örtlichen Fitnessstudio leben und den neuen Fusion-Head-Body-Rasierer eines namhaften Rasiererherstellers für lieb gewonnen hatten. Mit einem Gequälten „Helau“ quetschte sich der kleine Kalli an den vollausgerüsteten FBI-Männern vorbei und war heilfroh, als er im Sitzungssaal noch weitere Scheichs erblickte. Dann setzte sich der kleine Kalli und bestellte bei der indischen Bedienung ein gepflegtes Weizenbier. Und während der kleine Kalli-Scheich so genüsslich an seinem Bier schlürfte, da dachte er bei sich, dass man sich viel zu selten in die Rolle andere Menschen schlüpft.
„Wäre sie doch nur 75 geworden“, denkt sich der kleine Kalli, während er verzweifelt vor dem Geschenkeregal in der Buchhandlungskette steht. „Dann würde sie ein Pfund Kaffee bekommen und die Sache wäre geritzt.“ So wühlt er sich durch die Belletristik und Geschenkeecke auf der Suche nach etwas „Passendem“ und „Ausgefallenem“. Dabei kennt er Sybille gar nicht näher. Sie ist die neue Freundin von Kai, der gelegentlich etwas mit Karin, seiner besten Freundin unternimmt. Doch Sybille hat zu ihrem 20. Geburtstag nicht nur Kai und Karin, sondern eben auch ihn, Kalli, eingeladen. Sicher könnte er bei Thomas, Jochen und Peter mitschenken. Doch die haben sich für ein Trinkbrettspiel entschieden und dieses bereits gekauft. Kein Platz mehr also für Kalli auf der Unterschriftenkarte, die am Geburtstag ihre Kreise zieht, bevor sie feierlich übergeben wird. Zwischen „Frau – Deutsch, Deutsch – Frau“, „Eine Frau ein Buch“, „100 lustige Sprüche für XY“ und „99 Dinge, die eine Frau braucht“ muss es doch irgendetwas geben, das er Sybille überreichen kann. Nach stundenlangem Schmökern und Suchen hat Kalli endlich eine Idee: Ein Hörbuch – Buch. Wenn Kalli eines von Sybille weiß, dann, dass sie für ihr Leben gerne Hörbücher hört. Da der kleine Kalli seinerseits Bücher niemals in irgendeiner digitalen Form kaufen würde, schon aus Gründen des Klimasch… ähm, naja jedenfalls würde er sie niemals kaufen. Es müsste sich doch unter diesen vielen möchtegern lustigen Büchern ein Buch über Hörbücher finden lassen. Fehlanzeige. Auch der Computer der Verkäuferin, die Kalli um Hilfe gerufen hat, weiß von einem solchen Werk nichts. „Da sieht man’s mal wieder“, denkt sich Kalli „über die wirklich wichtigen Dinge im Leben schreibt mal wieder niemand etwas“. Deprimiert verlässt der kleine Kalli die Buchhandlung und betritt das Kaffeehaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite: „Ein Pfund Kaffee bitte.“
Sie war schlank und groß gebaut. Viel größer als Kalli. Ihre schwarzen Haare wehten im Wind während sie die Straße auf den kleinen Kalli freudestrahlend zukam. Es war Kallis große Liebe. Schon zu Schulzeiten schwärmte er für Sarah, doch sie wollte nichts von Kalli wissen. Kalli bewunderte Sarah seit der ersten Klasse. Und das ist nunmehr über 40 Jahre her. „Sie ist alt geworden“, denkt sich Kalli. Doch er lässt sich das nicht anmerken. Die ganze Schule wusste damals von Kallis großer Liebe. Und gerade das machte Sarah damals zu schaffen. Verständlich, immerhin war sie damals seine Klassenlehrerin. Als Sarah -oder Frau Schmitt, wie sie damals für Kalli hieß- ihn auf der Straße begrüßte wirkte sie noch viel freundlicher als zu Schulzeiten. Der strenge Blick ist einem glasigen gewichen und der Rohrstock einem Gehstock. Außerdem wich nach der Ausschulung das Sie dem Du. „Hallo Kalli, na wie geht es dir?“ platzte es ungehalten aus ihr heraus. Der übliche Smalltalk und Kalli verabschiedete sich mit der Erinnerung an all die unereichbaren Frauen in seinem Leben.
Wieder Zuhause angekommen, bemerkte seine Mutter, dass etwas mit ihm nicht stimmte. „Mensch Kalli, was ist denn los mit dir? Wieder die Mädchen? Du musst wissen, dass die alle falsch sind. Lass dich bloß nicht beeindrucken, die kochen nur mit Wasser und selbst das können die jungen Dinger heutzutage nicht einmal. Ich will dir mal was sagen: …“ so begannen die Moralpredigten immer. Kalli schaltete auf Durchzug und verkroch sich in Gedanken in seinem Photoalbum (welches er aus nostalgischen Gründen noch mit „Ph“ beschriftet hatte). Dort blätterte er in den vergangenen Zeiten, als Leggins noch modern waren und man Birkenstocksandalen trug – obwohl. Alles ging vorüber und kam wieder. Und so war es auch mit Kallis großer Liebe – auch wenn es nur zum Smalltalk war.
Hier gilt das Recht des Stärkeren. Wo Pferde um die Wette rennen, wo früher Enten Käfer jagten, wo Männer sich im Kampfe messen, da kann Kalli nach der Freiheit greifen. Theoretisch jedenfalls. Die Autobahn ist der Kriegsschauplatz des 21. Jahrhunderts und der kleine Kalli ist mit seinem Ford Ka zweifelsfrei unterbewaffnet. Gerne denkt er an seine Kindheit zurück, als sein grünes Bobby-Car den ersten Anflug von Mobilität versprühte. Erst später wurde ihm bewusst, dass Bobby-Cars eine perfide Erfindung der Kinderschuhindustrie sind. Doch das ist in dem aktuellen Zweikampf mit dem 3er BMW unwichtig. Kalli spielt seine Vorteile (bergab, Rückenwind, 15 Waschbetonplatten im Kofferraum) geschickt auf der linken Spur aus. Der BMW hält sich aber tapfer und lässt sich auch von der pechschwarzen Abgaswolke nicht irritieren. Als Kallis Drehzahlmesser bei Tempo 228 aus dem Roten Bereich verschwindet, scheint beim BMW der linke Blinker kaputt gegangen zu sein. Ein weiterer Fahrspurwechsel scheidet jedenfalls aufgrund der Mittelleitplanke aus. Doch der nächste Berg kommt so sicher wie die Benzinpreiserhöhung zum Ferienbeginn und bergauf, das weiß auch Kalli, hat er er mit den Waschbetonplatten kaum Chancen gegen den PS-Boliden. Kalli zieht nach rechts und gibt die Bahn frei für seinen Verfolger. Dieser senkt erleichtert den rechten Fuß ab und zieht genervt und wild gestikulierend an Kalli vorbei, der seine Bildzeitung zusammenfaltet und seine Brotzeit einpackt, den Sitz in eine aufrechte Position bringt und genüsslich die Verfolgung aufnimmt. „Es ist schon recht männliches Imponiergehabe,…“ denkt sich der kleine Kalli als er am BMW vorbeizieht und seine 450 PS aufheulen lässt.
Jeden Sonntag nach dem Gottesdienst treffen sich Kallis Freunde auf dem Fußballplatz. Genauer gesagt treffen sich am Platz die Frauen von Kallis Freunden, die Freunde selbst stehen auf dem Rasen. Und eigentlich dient die Aussage „nach dem Gottesdienst“ lediglich der zeitlichen Beschreibung und entspricht weniger den tatsächlichen Abläufen. Der kleine Kalli, der sonst mit Fußball eher wenig zu tun hat, nutzt seinen freien Sonntag, um einmal in die Sportplatz-Rasen-Welt einzutauchen. Da jagen sie nun ihrem Hobby, dem Ball hinterher und schleppen sich keuchend und rotzend über das Spielfeld. Umjubelt von den Fans, beäugt von den Spielerfrauen und angebrüllt von Trainern und Teamkollegen. Der kleine Kalli denkt sich noch „schade, dass mir bei der Arbeit niemand zujubelt“ und da ist es auch schon geschehen. Knochenbrecher, Spielunterbrechung. Für Lothar endet der Tag wohl in der Notaufnahme. „Nichts passiert, weiter geht’s!“ schallt es über das Spielfeld, als Lothar endlich vom Rasen getragen ist. „Harte Jungs“ denkt sich Kalli und beißt genüsslich in das obligatorische Sportplatzwürtschen, was unter dem wegblickenden Auge des Gesundheitsamtes in 32 Jahre, so lange gibt es den Traditionsverein SV Laufen nämlich schon, altem Fett ausgebraten wurde. Abpfiff. Die Partie endet … , das weiß leider niemand so genau, letztlich auch egal, da der SV Laufen ohnehin schon sicher in die Unter-Ober-Bezirks-Kreisauswahl-Landesliga-Nord-Süd abgestiegen ist. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Und nach diesem Motto versammelt man sich in der am Sportplatz befindlichen Kneipe, die als „Vereinsheim“ getarnt ist und deren Hauptaufgabe darin besteht, für das leibliche Wohl der Spieler zu sorgen. Kurzum: Die einzige Aufgabe des Platzwartes besteht darin, sicherzustellen, dass stets genügend Bier vorhanden ist. Neben allerlei Fachsimpelei wird noch das Sonntag-Abend-Spiel im Fernsehen geschaut und am Montag heißt es dann für zahlreiche potentielle Bundestrainer wieder Anpfiff am Arbeitsplatz. Der kleine Kalli winkt beim Weggehen noch einmal den vielen Kindern zu, die sich in der „Sportplatzkita“ tummeln, dem kleinen Spielplatz am Sportplatz, dann geht er heim und fällt, müde vom vielen Sport schauen, ins Bett.
Tante Hildtraud ist eigentlich gar nicht Kallis Fall. Als kleines Kind musste sich Kalli schon lästiges Backenkneifen und Küssen gefallen lassen. Doch das Schlimmste war zweifelsohne das mit Spucke beschmierte Stofftaschentuch, das Hildi -wie sie klein Kalli nennen musste- aus dem linken Ärmel Ihrer Kittelschürze zog, um Kallis Mund von Speiseresten zu befreien. Doch all die Erinnerungen an seine Kindheit waren nichts im Vergleich zu den heutigen Besuchen, die obligatorisch einmal im Jahr stattfanden. Man tauschte Billigblumen vom Discounter, die bereits das Welken begonnen hatten, gegen Billigpralinen ebenfalls vom Dicounter, die das Haltbarkeitsdatum bereits mehrere Jahre überschritten hatten und als Wanderpokal von Geburtstag zu Geburtstag weitergereicht wurden. Nachdem die Förmlichkeiten erledigt waren, erzählte Tante Hildtraud von Ihren unzähligen Krankheiten und Leiden und der kleine Kalli wurde zum wiederholten Male auf seine Laster hingewiesen. So sollte es auch dieses Jahr von Statten gehen. Kalli kaufte noch schnell die Blumen beim Discounter, diesmal war er leider etwas zu spät dran, das begrenzte Sortiment war bereits komplett verblüht, aber ganz ohne Grünzeug in der Hand wollte er auch nicht dastehen und griff in der Frischetheke beim Blumenkohl und Schnittlauch zu. Während der Autofahrt ging Kalli wie jeses Jahr einiges durch den Kopf: „Würde Hildi wieder von seinen Kinderstreichen erzählen? Würde sie ihm wieder das einzige Familienalbum zeigen und von den Nachkriegsjahren berichten? Würde sie wieder beleidigt sein, wenn er die ekelhaften Bonbons ablehnt?“ Die Antwort kannte Kalli. Schließlich machte er sich auch jedes Jahr dieselben Gedanken. Schließlich angekommen, klingelte er bei „Hildtraud Wiebke“. Es öffnete eine junge Frau. Kalli schaute verstört durch das Bündel Blumenkohl und Schnittlauch und fragte nach Hildtraud. Wie sich herausstellte, war Hildi kurz vor Kallis Ankunft, beim Versuch eine Pralinenschachtel vom Wohnzimmerschrank zu holen, gestürzt und musste nunmehr von der jungen Pflegerin, welche Kalli empfing, versorgt werden. Kalli überreichte der jungen Dame sein Bündel Grünzeug und war froh, dass Hildi nichts Ernstes passiert war und der Besuch letztlich doch anders verlief als befürchtet.
Jeden Freitag Nachmittag um 17 Uhr trifft sich der kleine Kalli mit vielen Geschäftsleuten, die ihr Wochenende einleuten, im Supermarkt vor dem Leergutautomaten. Mit gelben IKEA Taschen, Einkaufkörben und CHANEL-Papiertaschen bewaffnet stehen die casual gekleideten Herren, die Supermärkte sonst nur von Erzählungen ihrer Gattinnen kennen, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur vor dem Einwurfschlund. Angeführt wird die Polognaise von einem Rentner, der sich mit Leergutsammeln seine karge Rente aufbessert. Mit Discountertüten und Gelben Säcken steht er mit knapp 50 Flaschen vor dem Automaten und füttert diesen gemächlich und mit zitternden Händen. Kalli fällt auf, dass er noch nicht lange im Flaschensammelgeschäft zu sein scheint, da er Flaschen einwirft, die pfandfrei sind und zudem des öfteren das Leergut mit dem Deckel zuerst einlegt. Fehler, die einem erfahrenen Leergutsammler sicher nicht passieren würden. Die Geschäftsmänner beäugen die langwierige Prozedur mit nervösen und skeptischen Blicken. Sie grummeln vor sich hin, scharren mit den Füßen und tippen genervt auf ihren Smartphones herum. Das Wochenende muss wohl gerade endlos weit entfernt sein für diese Herren als der kleine Kalli sich am Ende der Schlange platziert und dem Treiben zusieht. Es dauert nicht lange, da fallen die ersten Kommentare. „Man solle sich doch beeilen“, „andere hätten auch noch was vor“, „in der Zeit hat ja eine alte Oma eine ganze Inseln bevölkert“ und vieles mehr ist zu hören. Als der Rentner dabei ist, seine letzte Leergutflasche in die Öffnung zu schieben, da packt es den kleinen Kalli: Er geht freudestrahlend an den genervten Herren vorbei und schenkt dem Leergutaufstocker seinen gesamten Pfandflaschenvorrat. Der Rentner strahlt über beide Ohren und Kalli, der nunmehr verstanden hat, wie soziale Marktwirtschaft funktioniert, wünscht allen: „Einen guten Start ins Wochenende!“