Manchmal nutzte der kleine Kalli die Mittagspause, um im benachbarten Baumarkt die Fische in der Aquaristikabteilung zu beobachten. Dort tümmelte so einiges umher. Kalli fiel neben den bunten Fischen ein anderer Baumarktkunde auf, der eher grau und unscheinbar war. „Was für ein merkwürdiger Typ“, dachte Kalli noch vorurteilsvoll, bevor er sah, wie der Unbekannte sich über das Goldfischbecken beugte. „Das kann doch nicht wahr sein!“, denkt sich Kalli, als er den merkwürdigen Kunden mit prallen Wangen in Richtung Ausgang eilen sieht. Schnell informiert der kleine Kalli einen Verkäufer über den ungeheuerlichen Vorgang. Auf dem Parkplatz treffen Detektiv Kalli, der Verkäufer und eine herbeigerufene Polizeistreife den vermeintlichen Dieb an. Auf den vermeintlichen Diebstahl eines Goldfisches angesprochen, gibt sich der Beschuldigte wortkarg und schweigt. Die Backen sind immer noch prall gefüllt, sodass der Verkäufer den Verdacht äußert es könnten sogar zwei Goldfische entwendet worden sein. Die Polizisten werden allmählich ungehalten und fordern den Mann auf, doch endlich den Mund auf zu machen. Dieser Schluckt kräftig und öffnet den Mund. Nichts. Wie sich im Laufe der Feststellung seiner Personalien herausstellt, ist Herr Schröder stumm. Dem kleinen Kalli ist die Sache mehr als unangenehm, er entschuldigt sich bei allen. Die Sache lag bereits über einen Monat zurück, da klingelte Kallis Telefon. Der Baumarktverkäufer war am Apparat und teilte ihm mit, dass bei der Inventur festgestellt wurde, dass ein Goldfisch fehlt.
Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen. Der kleine Kalli war zwar noch nie in Spanien, aber bei der letzten Bundesgartenschau, bei der man in die Gärten des Bundes schaut – wie der Name bereits verrät, da hat sich der kleine Kalli infiziert. Ab sofort steht das Gärtnern auf seiner Hobbyliste ganz oben. Da werden Rosen genauso überdüngt wie Petunien. Und Grün ist nicht gleich Grün, das lernte der kleine Kalli schnell. Während Rucola inzwischen als absolutes IN-Gewächs gilt, ist Löwenzahn und anderes Unkraut im gärtnerischen Kleinod unerwünscht. Und das, obwohl sich Rucola und Löwenzahn weder geschmacklich noch optisch großartig unterscheiden. Aber Kalli ist inzwischen Profi und weiß, eines der beiden Gewächse ist Hasenfutter. Bei der Gartenarbeit steht bei Kalli die Arbeit im Vordergrund. Es kommt ihm weniger auf die Früchte der Arbeit als die Tätigkeit selbst an. Seine Liebe zum Grün geht sogar so weit, dass er schon mal mit dem Gedanken gespielt hat, einen Kleingarten anzumieten. Doch in solchen Kleingartenanlagen gibt es nur Verlierer: da wären der kleinkarierte Kleingärtner, der Gartennazi, die Deutsche Bahn und der verwilderte Kleingarten(besitzer). Und die Gefahr zu letzteren zu zählen, ließ den kleinen Kalli schließlich von seinem Plan absehen. So widmet er sich lieber dem urban-gardening und pflegt die Mooskulturen auf seinem Balkon.
Früher hat der kleine Kalli auf den ersten Schnee, den Nikolaus, das Christkind und den Ferienbeginn gewartet, heute wartet der kleine Kalli auf seine Freundin. Überhaupt verbringt er, wie viele andere Erdenbewohner, den Großteil seiner Zeit mit Warten. Die nächste Gehaltserhöhung, die lange Schlange vor dem Supermarkt oder aber der Arzttermin sind nur einige nervenaufreibende Beispiele, die die wertvolle Lebenszeit unnötig in die Länge ziehen. Der kleine Kalli hat dies erkannt und ein Start-Up-Unternehmen gegründet, dass sich genau diesem Problem annimmt. Mit „WaitForIt“ will Kalli den Durchbruch wagen. Ein Anruf genügt und Kalli steht für Sie bei der Zulassungsstelle in der Warteschlange. Insbesondere bei der Wahrnehmung von Arztterminen ist Kallis Dienstleistung gefragt. Immer weniger Menschen möchten sich der hohen Keimbelastung in Wartezimmern von Arztpraxen aussetzen und buchen Kalli, der bei Aufruf den Kunden informiert, dass er nun kommen kann. Andere Kundenanfragen musste Kalli, dessen Unternehmen – aus Gründen – bewusst auf eine Telefon-Warteschleife verzichtet, abweisen. So können Wartesemester von Medizinstudenten ebenso wenig von Kalli übernommen werden, wie das Warten auf Heiratsanträge. Auf seine Bezahlung hingegen wartet Kalli gerne, die erfolgt nämlich nicht per Vorkasse, damit die Kunden bloß nicht warten müssen. Sollte die Bahn es aber einestages schaffen, den Fahrplan einzuhalten, würde eine wichtige Einnahmequelle weg brechen. Bis das aber geschieht, heißt es: „WaitForIt“!
Dass mit dem bärtigen Mann etwas nicht stimmt, war dem kleinen Kalli sofort klar. Der lange Bart, die große Mütze und dann die Hausschuhe von Papa. Und zu allem Überfluss wusste der Nikolaus ganz genau, wann der kleine Kalli sich im vergangenen Jahr daneben benommen hat. Außerdem hatte Kallis Papa bereits in den vergangenen Jahren den Besuch des hl. Nikolaus verpasst. Entweder war er auf Toilette oder aber kurz etwas im Keller holen. Das alles, so glaubt der kleine Kalli, kann kein Zufall sein. Und so fasst er all seinen Mut zusammen und rupft kräftig an dem Bart des Mannes, der bis eben noch für wenig gewissenhaftes Zähneputzen mit der Rute drohte. Der Schrei des Nikolaus war in der gesamten Straße zu hören. Kallis Papa kam von der Toilette gesprungen und löste Kallis Klammergriff. Woher sollte der kleine Kalli auch wissen, dass seine Eltern dieses Jahr den Studenten Kevin Kanz gebucht hatten? Die Geschenke musste der Kevinnikolaus damals wieder mitnehmen, anders als seine Barthaare, die behielt der kleine Kalli als Trophäe in der Hand. In den folgenden Jahren kam am 6. Dezember nur noch Onkel Karlheinz (55, 163 kg, Erntehelfer und Hobbyangler) als Knecht Ruprecht mit der Rute.
In Sachen Verkehr ist bei dem kleinen Kalli eigentlich alles in bester Ordnung. Er verkehrt in guten gesellschaftlichen Kreisen und auch sein Liebesleben lässt keine Wünsche offen. Einzig die Raser vor seiner Haustür stören den kleinen Kalli. Wieso die Menschheit glaubt, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen nur für die anderen gelten, ist ihm ein ewiges Rätsel. Und auf dem Weg zur Arbeit ärgert sich Kalli regelmäßig über Geschwindigkeitsjunkies. Drängeln und Schneiden gehört zum täglichen Geschäft auf Deutschlands Straßen. Doch seit kurzem hat Kalli den Kampf aufgenommen. Dabei macht er sich den wohl letzten kostenlosen Service zunutze, den es in der Medienlandschaft gibt: den Blitzdienst. Schon kurz nach dem Weckerklingeln wählt Kalli die Nummer der Blitzerhotline und meldet einen Blitzer auf der Hauptstraße seines Wohnortes. Nach dem Frühstück sind dann die Straßen vor der Kita und der Schule dran. Seine Frau kümmert sich um die Bundesstraße und das kurze Stück Autobahn, das auf dem Weg zur Arbeit liegt. An Tagen, an denen Kalli besonders gut drauf ist, dürfen seine Kinder noch per Smartphone die Dreißigerzone im Nachbarort melden. Besonders toll findet Kalli, dass die Blitzdienste der Radiosender so schnell sind. Schon kurz nach dem Anruf sind die vermeintlichen Blitzer im Internet und den wichtigsten Infosystemen zu finden. Wer jetzt noch zu schnell fährt, der hört entweder kein Radio oder hat schlicht vergessen, die einschlägigen Facebookgruppen vor Fahrtantritt zu checken. Auf diese Weise fließt der Verkehr auf Kallis Strecken ganz entspannt. Kalli ist überzeugt, oft braucht es gar keine echten Blitzer. Vielmehr seien es die Blitzer in den Köpfen der Fahrer, die für mehr Sicherheit auf den Straßen sorgen. Aufgrund des Erfolgs der Blitzermeldeaktion hat Kalli die Facebookgruppe „Blitzer melden, wo keine sind!“ gegründet, um weitere Melder zu finden und sich untereinander abzusprechen, wer wann und wo welche Blitzer gesichtet haben könnte. Na dann, gute Fahrt!
Es war ein ganz gewöhnlicher Abend. Die Festgäste standen um die festlich geschmückte Festtafel herum. Alle warteten auf die erlösenden Worte. Die Geburtstagsgäste waren Kalli größtenteils unbekannt. Er starrte auf die Geburtstagstorte und registrierte die Blicke der anderen. Plötzlich löste sich Kallis Wahrnehmung von seinem Körper. Er stand neben sich. Sah sich selbst, wie er die Torte betrachtete. So nehmen andere den kleinen Kalli also wahr. Es war ein völlig neuer Blickwinkel. Im Spiegel sah er sich sonst nur aus der gewohnten, vertrauten Spiegelperspektive. Das hier war neu. Er dachte an den Film „8 Blickwinkel“, den er im Kino geschaut hatte. Damals war er froh, dass der Film nicht „20 Blickwinkel“ heißt. Doch in diesem Moment mochte er den objektiven Blick auf sich selbst. Losgelöst ging er um sich herum. Sah sich an und wurde sich immer fremder. Schließlich verspürte er den Drang in sich, sich selbst zu begrüßen. Sich die Hand zu reichen und zu sagen:“Guten Tag, ich bin der kleine Kalli. Mit wem habe ich das Vergnügen?“ Seinem Spiegelbild konnte Kalli nicht die Hand geben. Jetzt aber war alles möglich. Er war gespannt auf seinen eigenen Händedruck. Ist er fest, oder weich? Wie ein Bauarbeiter oder eher wie ein alter Tafelschwamm? Dann streckte der echte Kalli dem Gedankenkalli seine Hand zum Händeschütteln entgegen. Doch was war das? Der Gedankenkalli zerplatzt wie eine Seifenblase. Kein Wunder, war der Gedankenkalli doch Linkshänder. Und es war für ihn unvorstellbar, sich mit der linken Hand zu begrüßen. Für den kleinen Kalli erscheint der Gedanke befremdlich, eine andere als die Schreibhand zum Handschlag zu benutzen. Etwas irritiert wendet er sich von der Tortenpracht ab und geht zu einem ihm unbekannten Gast. „Guten Tag, ich bin der kleine Kalli. Mit wem habe ich das Vergnügen?“, kommt es aus ihm heraus, während er seinem Gegenüber die rechte Hand hinhält.
Die Sommerferien verbrachte der kleine Kalli mit verschieden schlecht bezahlten Aushilfsjobs. Dieses Mal nutzte der kleine Kalli die Gelegenheit, um zu schauen, wie schlecht es um den deutschen Einzelhandel bestellt ist. Und so durfte er die ersten Wochen Regale in einem Lebensmittelgeschäft auffüllen. Ein äußerst wichtiges Unterfangen. Immerhin – so lernte Kalli schnell – darf kein Produkt im Lager verbleiben. Andernfalls müssten die Verkäufer auf Nachfragen der Kunden den langen Weg in besagtes Lager antreten und Nachschauen. Zudem entfielen sonst die Lieblingssätze vieler Verkäufer: „Nur noch das, was im Regal ist. Wenn da nix mehr ist, haben wir auch nix mehr da.“ Danach wechselte der kleine Kalli zu einem angesagten Textilgeschäft. Zunächst war der Filialleiter ausgesprochen zufrieden mit Kalli. Keiner konnte T-Shirts und Hosen so schnell nach Farbe sortieren wie Kalli. Und keiner beäugte Kunden, die mit vier statt drei Teilen in die Umkleidekabine gingen, derart streng wie er. Doch eines Tages blieben die Kunden aus. Niemand wusste, wieso plötzlich alle Passanten das Kleidungsgeschäft meideten. Drei Tage und mehrere tausend Euro Verluste später viel Kallis Missgeschick auf. Eine Kundin kam in die Filiale und fragte sichtlich aufgelöst, ob es denn gar keinen „Sale“ gebe. „Selbstverständlich!“ antworteten die Angestellten verdutzt. Die Dame verwies auf die fehlenden „Sale-Schriftzüge“ im Schaufenster. Das war eindeutig Kallis Fehler. Er war doch in dieser Woche für die Schaufenstergestaltung zuständig. Woher sollte der kleine Kalli auch wissen, dass die Puppen mit Bademode im Schaufenster nichts zu suchen haben?! Und die 300 roten Sale-Aufkleber in verschiedenen Größen (XXL-3XL) hatte Kalli schlichtweg übersehen. Der Filialleiter ordnete sofort an, die liebevolle Dekoration zu entfernen und SALE-Schriftzüge anzubringen. Am Ende des aufregenden Tages kamen nicht nur wieder Kunden, sondern auch die Einsicht bei Kalli, dass nur SALE saled.
Gutes Essen ist wichtig. Diesen Grundsatz beachtet der kleine Kalli seit er kulinarisch von seiner Großmutter groß- bzw. kleingezogen wurde. Denn eines ist dem kleinen Kalli klar: „Ohne Mampf kein Kampf“ oder wie es auch heißt, „die Mahlzeiten sind das wichtigste Essen des Tages“. Mangels Kochtalent und unzureichender Auswahl an Kochshows im Fernsehen bevorzugt Kalli die örtliche Gastronomie zur Aufnahme von Speisen. Nachdem er schon nach kurzer Zeit alle Döner- und Schnellimbisse durchprobiert hatte, widmete sich der kleine Kalli der gehobenen Gastronomie. Aber auch der Italiener und Grieche von nebenan wurden dem hungrigen Kalli auf Dauer zu fad, sodass er kurzerhand beschloss, das mit einem Reifenherstellerstern dekorierte Restaurant zu besuchen. „Hoffentlich sieht man danach nicht aus wie das Michelin-Männchen“ dachte sich Kalli, bevor der das 7 Gänge Menü bestellte. Doch diese Sorgen waren – wie sich herausstellen sollten – unbegründet. Der erste Gang war ein Sekt und eher etwas für die Leber als für den hungrigen Magen. Es folgte eine einsame Krabbe auf einem großen Teller. Wäre die Krabbe noch am Leben gewesen, hätte der Teller alle Haltungsanforderungen des Tierschutzes genügt. Es folgte der dritte Gang; noch eine Krabbe. Dann ein Blatt Salat, eine Suppe Aquatica, ein hauchdünnes totmassiertes Rinderfilet und schließlich eine halbe Kugel Vanilleeis auf Vanillesoße. Bei der Nachspeise könnte es sich aber auch um eine ganze Kugel Vanilleeis (ohne Vanillesoße) gehandelt haben. Das Essen war gut und reichlich, hätte aber besser und mehr sein können. Gewürzt war alles super, jedenfalls die Rechnung war gesalzen. Der kleine Kalli kommt gerne wieder in die Sterneküche, dann aber mit Begleitung. Schließlich ist für das gegenseitige Tellertauschen und anschließende Rauskomplimentieren vielfach ein hohes Preisgeld ausgewiesen. Bon Appetit!
Sicherlich hätte der kleine Kalli mit der Hypothek auf sein Eigenheim auch allerhand andere schöne Dinge machen können. Aber Kalli war schon lange nicht mehr im Kino und wollte sich den neuen Minionsfilm unbedingt anschauen. Und so war er auch bereit sämtliche monetären Entbehrungen auf sich zu nehmen, um sich dieses knapp zweistündige Erlebnis gönnen zu können. Da der kleine Kalli keine Lust auf lange Schlangen an der Kinokasse hatte, investierte er gerne die 5 Euro Vorverkaufsgebühren und 8 Euro Buchungsgebühren. Immerhin spart der Kinobetreiber mit seiner Online-Buchung ja auch billiges Kassenpersonal ein. Insofern hat der kleine Preisaufschlag durchaus seine Berechtigung. Da Kalli ungern einen steifen Nacken bekommen wollte, war natürlich der Logenzuschlag fällig, der ab Reihe 2 zu entrichten ist. Dafür bekommt man dann aber allerhand geboten. Ein besonderes Highlight sind die Sturzsicheren Teppichböden im Kino, die – getränkt von Cola und Co – derart klebrig sind, dass bereits das Erreichen des Kinosessels ein Erlebnis ist. Apropos Kinosessel. Dieses Wunder moderner Ausstattungsideen verfügt über alles, was sich der Kunde so wünscht: Verstellbare Rückenlehnen, einen ausreichend großen Becherhalter, ein Staufach für Jacken und Handtaschen, einen kleinen Tisch für Snacks und eine angenehme Massagefunktion sucht man jedoch vergebens. Bevor man in den Genuss des außergewöhnlichen Sitzkomforts kommt, warten Popcorn und Kaltgetränke im Foyer, deren Preise locker mit den teuersten Sternerestaurants des Landes mithalten können. Wer es – aus welchen Gründen auch immer – nicht schafft, sich vor dem Betreten des Kinosaals mit allerlei ungesunden Sachen einzudecken, der hat beim Eismann die Möglichkeit den Start der Vorstellung unnötig in die Länge zu ziehen. Aber dann geht der Film nach nur 30 Minuten Werbung endlich los. 3D-Brille für 2 Euro aufgesetzt und das ungetrübte Filmerlebnis hemmungslos genießen. Von hinten treten ganz sanft die nackten Stinkefüße der Hinterfrau gegen den Sitz und imitieren die fehlende Massagefunktion. Der Sitznachbar schmatzt in Dolby-Digital und der Vordermann liefert durch geschicktes Googlen auf dem Smartphone wertvolle Hintergrundinfos zum Film. So schön kann Kino sein, realisiert der kleine Kalli als er den Kinosaal verlässt, der am Ende der Vorstellung sogar ein kleines bisschen sauberer wirkt als zu Beginn. Sollte er irgendwann im Lotto gewinnen, kommt er gerne wieder.
Ganz genau kann sich der kleine Kalli nicht mehr daran erinnern, wie er eigentlich hier gelandet ist. Es könnte damit zu tun haben, dass die Einladung bereits seit Monaten in seine Hände viel und sein Gehirn nicht mehr das Jüngste ist. Es könnte aber auch an den acht Bieren liegen, die Kalli inzwischen in sich hinein gestellt hat. Die Ü-30 Party jedenfalls ist für den kleinen Kalli Neuland. Was das Smartphone für seine Eltern, ist diese Form der Abendgestaltung für ihn. Die Bezeichnung „Ü-30“ bezieht sich dabei auf die Körpergröße (weshalb auch der KLEINE Kalli teilnehmen darf). Das Alter kommt – in Anbetracht der Gäste – jedenfalls nicht als Abgrenzungskriterium in Betracht. Kalli ist mit seinen 27 Jahren vermutlich sogar der älteste Besucher. Auch sonst hat Kalli sich diese Art der Veranstaltung ganz anders vorgestellt. Es laufen aktuelle Schlager über eine viel zu laute Anlage. „Wenigstens haben die älteren Herrschaften die Möglichkeit, das Hörgerät abzuschalten“, denkt sich Kalli. Die Tanzfläche ist genauso leer wie bei anderen Tanzveranstaltungen und auch die Getränke sind genauso teuer wie sonst. Weshalb die Party den Titel „Ü-30“ trägt bleibt dem kleinen Kalli schleierhaft. Und der geistige Vorhang hebt sich erst, als er sich auf der Toilette übergeben muss; Die gleichen Fliesen wie vor über 30 Jahren!
Eingebildete Menschen kann der kleine Kalli überhaupt nicht leiden. Kalli reagiert bei aufgeblasenen Personen allergisch. Apropos aufgeblasen. Die Vorliebe zu Hülsenfrüchten ist ein Laster Kallis, welches sich nur schwerlich mit den modernen gesellschaftlichen Konventionen vereinbaren lässt. Nicht erst seit dem Luther Jahr 2017 ist Kalli großer Bewunderer des Reformators, dem es trotz beharrlichem Nachfragen nicht gelang Furzen und Rülpsen salonfähig zu machen. Dabei sind es oft gar nicht die großen lauten Töne, sondern die kleinen leisen, auf die es ankommt. Der kleine Kalli jedenfalls hat sich diesem Tabu-Thema verschrieben und klärt seine Umwelt auf – auch wenn es einigen stinken mag. Die Urgroßmutter wusste schon: „Wenn’s Ärschle brummt, ist’s Herzle g’sund!“ Und oft bleiben die Ausdünstungen ja auch unbemerkt.
Eines hat der kleine Kalli schnell verstanden: Fasching ist eine ernste Angelegenheit. Seit einem Jahr – oder wie der Narr zu sagen pflegt: seit dieser Session – ist Kalli im Carnevalsverein aktiv. Karnevalsvereine und Kanzleien haben die Gemeinsamkeit, dass sie am liebsten das „K“ durch ein „C“ ersetzen. So werden aus den „Kollegen“ die „Collegen“ und der „Karnevalsverein“ zum „Carnevalsverein“. Im Verein ist aber nicht nur die Schreibweise genauestens festgelegt, sondern auch sonst gibt es ein Protokoll, das es strickt einzuhalten gilt. Frohsinn ist etwas für den einzelnen Hallodri am Rande des Faschingszuges, der sich abgelaufene Zuckersteine und billigste Fuselalkoholika in mit Herpes angereicherten Mehrfachbechern zuführt. Nein, davon grenzt sich der kleine Kalli mit samt seinen anzugtragenden und hoch dekorierten Elferräten entschieden ab. Ursprünglich ist Kalli dem Verein beigetreten, weil er etwas für seine Lachmuskeln tun wollte. Ihn lockte auch das diesjährige eingängige Motto: „Wir schunkeln und klatschen bis in die Nacht, ob jung oder alt, das wär‘ doch wirklich gelacht“. Doch er merkte schnell, wie bedeutend die Arbeit hinter den lustigen Kulissen ist. Und wer dann am Rosenmontag auf dem Prunkwagen ein fröhliches Gesicht macht, der outet sich schnell als frisch und unverbraucht. Doch Kalli gelang es ohne große Mühen, seine alltäglich schlechte Stimmung auch in den Karnevalsverein hinein zu transferieren. Nur einmal bei der großen Prunksitzung sind die Pferde mit Kalli durchgegangen und er musste bei einer Büttenrede kurz Kichern. Glück für Kalli, niemand hatte diesen Fehltritt bemerkt.