(46) Der kleine Kalli – im Körper eines anderen

(46) Der kleine Kalli – im Körper eines anderen

Es war ein ganz gewöhnlicher Abend. Die Festgäste standen um die festlich geschmückte Festtafel herum. Alle warteten auf die erlösenden Worte. Die Geburtstagsgäste waren Kalli größtenteils unbekannt. Er starrte auf die Geburtstagstorte und registrierte die Blicke der anderen. Plötzlich löste sich Kallis Wahrnehmung von seinem Körper. Er stand neben sich. Sah sich selbst, wie er die Torte betrachtete. So nehmen andere den kleinen Kalli also wahr. Es war ein völlig neuer Blickwinkel. Im Spiegel sah er sich sonst nur aus der gewohnten, vertrauten Spiegelperspektive. Das hier war neu. Er dachte an den Film “8 Blickwinkel”, den er im Kino geschaut hatte. Damals war er froh, dass der Film nicht “20 Blickwinkel” heißt. Doch in diesem Moment mochte er den objektiven Blick auf sich selbst. Losgelöst ging er um sich herum. Sah sich an und wurde sich immer fremder. Schließlich verspürte er den Drang in sich, sich selbst zu begrüßen. Sich die Hand zu reichen und zu sagen:”Guten Tag, ich bin der kleine Kalli. Mit wem habe ich das Vergnügen?” Seinem Spiegelbild konnte Kalli nicht die Hand geben. Jetzt aber war alles möglich. Er war gespannt auf seinen eigenen Händedruck. Ist er fest, oder weich? Wie ein Bauarbeiter oder eher wie ein alter Tafelschwamm? Dann streckte der echte Kalli dem Gedankenkalli seine Hand zum Händeschütteln entgegen. Doch was war das? Der Gedankenkalli zerplatzt wie eine Seifenblase. Kein Wunder, war der Gedankenkalli doch Linkshänder. Und es war für ihn unvorstellbar, sich mit der linken Hand zu begrüßen. Für den kleinen Kalli erscheint der Gedanke befremdlich, eine andere als die Schreibhand zum Handschlag zu benutzen. Etwas irritiert wendet er sich von der Tortenpracht ab und geht zu einem ihm unbekannten Gast. “Guten Tag, ich bin der kleine Kalli. Mit wem habe ich das Vergnügen?”, kommt es aus ihm heraus, während er seinem Gegenüber die rechte Hand hinhält.

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